Trauriger Fotografenalltag

Es ist früh am Morgen, die Luft ist feucht und die Sonne hat noch keinen wärmenden Strahl in das Tal fallen lassen. Die Nutriafamilie, auf die ich es eigentlich abgesehen habe, ist nirgends zu entdecken, sie schlafen wohl noch tief und fest ihrer Höhle. „Das wird dennoch ein erfolgreicher Fotomorgen“ mache ich mir selber Mut.

Ich schaue mich um. Aus der Ferne dringen die Rufe der Graugänse durch den Dunst. Das heisere Krächzen zweier Raben weckt meine Aufmerksamkeit. Schnell das Geräusch orten und dann lautlos mit der Kamera im Anschlag anpirschen. Irgendetwas erschreckt die beiden und sie fliegen auf, bevor ich überhaupt in Schussweite komme. „Schade“ denke ich und mache mich auf den Weg zum Flussufer. Dort, so hoffe ich, habe ich die Chance auf fliegende Graugänse.

Ein gelber Schnabel weckt meine Neugier. Der dazugehörende Graureiher hatte mich jedoch längst bemerkt und fliegt eilends auf, dreht eine Runde und landet auf einem Baum direkt über mir. „Endlich!“ Meine Stimmung hebt sich. Die Kamera aufstellen, Objektiv scharfstellen und abdrücken. Das erste Foto des Tages.

In diesem Augenblick fliegen an die zwanzig Graugänse im Tiefflug über den Fluss. Diese Chance auf ein Foto mit Graugänsen fliegt gerade buchstäblich an mir vorbei. Also wieder vorsichtige Motivsuche. Heute Morgen ist die Auswahl an Tieren eher überschaubar. Zwei oder drei Vögel, weit entfernt auf den Bäumen.

Mir fällt der Satz über das Equipment ein, der lautet: „Nicht die teure Ausrüstung macht ein gutes Foto sondern auf der Fotograf.“ Na ja im Moment würde ein 4/500mm Objektiv der Luxusklasse zumindest einen sehr glücklichen Fotografen aus mir machen…. .

Ich starte den Versuch einen Graureiher hoch oben im Kronendach eines kahlen Baumes abzulichten. Der Blick durch den Sucher der Kamera gibt mir ein harmonisches Bild frei. Ein Graureiher über zwei Krähen. Es hat nur den Nachteil, dass der Reiher im Sucher, nun ja, gerade mal drei Millimeter klein ist. Ein Format füllendes Motiv ist etwas anderes. Ich träume wieder von dem Objektiv der Luxusklasse….. .

Wenigstens möchte ich festhalten wie er so typisch für einen Vogel seiner Art, majestätisch abhebt. Denn mit ausgebreiteten Flügeln wäre er bestimmt anderthalb Zentimeter groß- auf dem Fotoausdruck versteht sich. Also Kamera aufstellen, Fernauslöser montieren. Da die vom Wind bewegten Äste den Autofokus irritieren stelle ich das Objektiv manuell scharf und warte. So ein Reiher hat ja als Fischjäger von Natur aus Geduld und kann sehr lange reglos verharren. Ihm gegenüber steht ein Fotograf der von Natur aus stur ist. Das Duell beginnt und die ersten zehn Minuten verstreichen ergebnislos.

„Nanu“ ,denke ich,“ kleine Tropfen auf dem Objektiv? Die sind sicher nur von den Ästen über mir.“ Mein Blick wandert wieder zum Graureiher, den  Fernauslöser fest in meiner Hand. Den ersten Tropfen folgen weitere und es kann unmöglich alles nur von einem Ast heruntertropfen. Der Blick nach unten in die Pfütze die außerhalb der Reichweite eines Astes ist, bezeugt: Es regnet.

Mein Blick schnellt zurück zum Reiher. Nein, der hat sich nicht gerührt.

„Wenn ich nun schnell eine Tüte über das Objektiv lege, so dass nur die Linse herausschaut, kann ich weiter auf mein Bild hoffen“ überlege ich. Es folgt der Blick zum Reiher der wie versteinert auf seinem Ast hockt.“ Prima“ ,sage ich mir “ Fernauslöser zur Seite legen und jetzt schnell die Tüte aus dem Rucksack holen.“ Während ich den Rucksack öffne, fällt mir ein, das Objektive der Luxusklasse zumindest spritzwassergeschützt sind… .

Da Plastiktüten zweckdienlich nur auf einer Seite offen sind, krame ich nach meinem Taschenmesser um auf der verschlossenen Seite einen kleine Schlitz für die Linse aufzuschneiden.

Ein schräger Blick von meinem Rucksack hinauf zum Graureiher ergibt das erhoffte Ergebnis: Der Reiher hat sich nicht bewegt.

„ Das Glück ist mit dem Tüchtigen“  denke ich und stülpe die erfolgreich präparierte Tüte über Kamera und Objektiv. Dadurch habe ich die Schärfe ein wenig verstellt, wie mir mein prüfender Blick durch den Sucher verrät. Also mit der einen Hand manuell nachstellen und gleichzeitig mit der anderen Hand entlang des Kabels den am anderen Ende angeschlossenen Fernauslöser ertasten.

Durch das nun korrekt eingestellte Objektiv erkenne ich den mit stoischer Gelassenheit wartenden Graureiher.“ Verflixt, wo ist jetzt der Fernauslöser“, denke ich, denn meine Hand sucht immer noch erfolglos nach ihm. Die Augen werden  kurz vom Motiv abgewandt und helfen nun ebenfalls bei der Suche nach dem Fernauslöser.“ Na also, da ist er ja“ Jubel ich und wende meinen Blick wieder dem Graureiher zu, der sich in diesem Moment – bereits außerhalb des Sucherfeldes – majestätisch in die Lüfte erhoben hat.

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